Wenn Kinder an Krebs erkranken – Teil 2

Neustart – Jakobs neuer Lebensweg

Dank der heute rund 85 % Heilungschancen überleben immer mehr Kinder und Jugendliche eine Krebserkrankung. Doch mit dem Ende der Behandlung ist die Krankheit nicht automatisch vorbei – sie hinterlässt Spuren. Krebs verändert das Leben, oft dauerhaft. Viele ehemalige Patient:innen kämpfen mit Spätfolgen, Ängsten und dem Wunsch nach einem Alltag, der sich wieder „normal“ anfühlt.

Jakob weiß genau, wie sich das anfühlt. Jakob ist heute 42 Jahre und erkrankte als Baby an einem Hirntumor. (mehr über Jakob erfährst du in unserem Blogbeitrag Teil 1)
Nach der Therapie galt er zwar als „geheilt“, doch das Leben danach stellte ihn und seine Familie vor neue, unsichtbare Herausforderungen. Erst im Erwachsenenalter wurde deutlich, welche Auswirkungen die Krankheit tatsächlich hinterlassen hatte.

Spätfolgen – das oft unsichtbare Danach

Europaweit leben inzwischen über 500.000 Überlebende von Kinder- und Jugendkrebs.
In Österreich wird die Zahl der Überlebenden auf mindestens 4.000 geschätzt – viele frühere Fälle sind schwierig zu erfassen, etwa weil Patient:innen aus den Statistiken „verschwinden“. Aktuellen Studien zufolge sind etwa zwei Drittel aller Survivor:innen im Laufe ihres Lebens von körperlichen und/oder psychosozialen Spätfolgen betroffen.

Diese Spätfolgen können unter anderem betreffen:

  • den Hormonhaushalt (z. B. Wachstumsstörungen, Schilddrüsenfunktion)
  • die Fruchtbarkeit
  • innere Organe, z. B. Herz, Nieren, Lunge, Leber, Darm
  • Knochen, Zahnfleisch und Zähne
  • Hör- und Sehfähigkeit
  • kognitive Fähigkeiten, Konzentration, Gedächtnis
  • psychosoziale Gesundheit (z. B. Ängste, Depression, Selbst- und Körperbild)

Die Medizin hatte ihn gerettet, doch danach war niemand mehr da, der hinsah. „Man denkt, es ist vorbei – und doch begleitet dich die Krankheit irgendwie dein ganzes Leben,“ so Jakob.

Viele Überlebende berichten dasselbe: Irgendwann kam das Gefühl, allein zu sein – mit Ängsten, offenen Fragen und gesundheitlichen Risiken, die niemand regelmäßig überprüfte.
Auch in Österreich ist die strukturelle Nachsorge bis heute kein flächendeckendes System. Es fehlt an spezialisierten Zentren, an langfristiger Betreuung – und an Bewusstsein dafür, dass Heilung mehr ist als das Ende der Therapie.

Jakob’s Wendepunkt

Für Jakob kam der Wendepunkt Jahrzehnte nach seiner Erkrankung.
2019 – ein Jahr, das er selbst „sein Tiefpunkt und zugleich Neubeginn“ nennt.

„Das Jahr 2019 hat mein Leben komplett verändert.“

Nach einer erneuten psychischen Krise suchte er Hilfe bei einem Psychologen des AKH’s. Eine Begegnung, die alles veränderte.

Zum ersten Mal seit seiner Kindheit fühlte er sich wirklich verstanden. Durch intensive Gespräche, Tests und schließlich – fast 40 Jahre nach seiner Erkrankung – eine Reha, begann Jakob, seine Geschichte neu zu betrachten.

Über diesen Weg fand Jakob schließlich auch zur IONA, der interdisziplinären onkologischen Nachsorge-Ambulanz in Wien.

Dort fand er das, was ihm jahrzehntelang gefehlt hatte: regelmäßige medizinische Betreuung, Gespräche, Verständnis.

Für mich persönlich ist das so ein Segen,“ schwärmt Jakob.

Hier wird Nachsorge nicht nur als Kontrolltermin verstanden, sondern als Begleitung durchs Leben – medizinisch, psychologisch und sozial. Jakob wünscht sich, dass jede:r ehemalige Patient:in so eine Anlaufstelle hat.

Über die IONA wurde Jakob auch auf das Projekt Jugend und Zukunft aufmerksam – ein Programm der Österreichischen Kinderkrebshilfe und die Berater, das ehemalige Patient:innen dabei unterstützt, beruflich und im Alltag wieder Fuß zu fassen und neue selbstbestimmte Perspektiven zu entwickeln.

Dort fand Jakob nicht nur Unterstützung, sondern auch eine neue Aufgabe: Heute arbeitet er selbst bei die Berater – gemeinsam mit den Kolleg:innen, die ihn damals begleitet haben.

Er arbeitet in Teilzeit – mehr ist gesundheitlich leider nicht möglich. „Ich bin dankbar, dass ich arbeiten kann. Aber mein Körper hat Grenzen – und das wird nicht immer verstanden,“ sagt Jakob.

Leider stößt dieses Verständnis nicht überall auf offene Ohren. Im Berufsalltag wird häufig unterschätzt, wie viel Kraft es kostet, nach einer schweren Erkrankung wieder Fuß zu fassen – und dass Genesung nicht automatisch volle Belastbarkeit bedeutet.

Auch wenn der Weg zurück ins Berufsleben nicht immer einfach war, hat Jakob seinen Platz gefunden. Er weiß heute, was ihm guttut – und was er braucht, um sein Leben in Balance zu halten.

Blick in die Zukunft

Heute reist Jakob viel, findet Kraft in der Kreativität und in Begegnungen mit anderen. Sein Blick richtet sich auf das, was JETZT möglich ist – und darauf, gemeinsam mit anderen etwas zu verändern.
Seine Botschaft an andere Betroffene:

„Man soll nicht aufgeben. Es gibt einen Weg.“

Er spricht heute, so viele Jahre später, offen über seine Erfahrungen, weil er anderen Mut machen will – besonders jenen, die denken, sie müssten nach der Therapie „einfach wieder funktionieren“.

Jakob, 42 Jahre ©Österreichische Kinderkrebshilfe


Quellen: Childhood Cancer International, kinderkrebsinfo.de